Meine Rede zum Antrag „Remigrationsoffensive jetzt! […]“ der AfD-Fraktion vom 24.01.2023. Ihr könnt euch die Debatte auch hier beim RBB anschauen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Zuerst möchte ich meiner Kollegin Carla Kniestedt, die hier ein paar Sätze zu diesem Thema niederschrieb und an deren geistigem Eigentum ich mich hier nicht gänzlich, aber in Teilen bediene – verzeih mir, liebe Carla! -, ganz herzlich gute Besserung wünschen.
(Beifall B90/GRÜNE, SPD sowie vereinzelt Die Linke)
Aber zur Sache, zum Antrag. Von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern und den Tausenden, die am Wochenende in Brandenburg auf der Straße waren, ist fast alles zu diesem Thema gesagt worden. Sie verfolgen mit diesem Antrag Ihr übliches Prinzip: Sie wollen immer wieder destruktiv Angst verbreiten vor Menschen, die nach Deutschland kommen, oder aber vor Menschen, die schon lange hier, sogar hier geboren und aufgewachsen sind, aber nach Meinung der Herrschaften hier rechts von mir nicht hierhergehören. Nur die Überschriften ändern sich. Damit versuchen Sie seit Jahren, Ihr Gedankengut, Ihre Pläne zur massenhaften Deportation von Menschen, Ihre Menschenverachtung mit beschönigenden Worten in die Mitte der Gesellschaftzu tragen.
Diesmal – wen wundert es; es ist ja jetzt irgendwie ein gängiges Wort geworden – läuft das Ganze unter „Remigrationsoffensive“. Dieses Wort ist eines von vielen Beispielen, wie Worte umgedeutet werden,
(Dr. Berndt [AfD]: Sie deuten um!)
mit veränderten Inhalten versehen werden und so das Denken von Menschen beeinflussen.
(Zuruf von der AfD)
Der Romanist Victor Klemperer hat in Dresden akribisch Tagebuch geführt über die Jahre 1933 bis 1945 und den sich schleichend verändernden Alltag beschrieben. Er hat vor allem in seinem Buch „LTI“ – Lingua Tertii Imperii; ich kann leider nicht ganz so gut Latein wie die Präsidentin – die Sprache des Dritten Reiches gesammelt und untersucht, wie Sprache das Denken verändert, welchen Einfluss Worte schlussendlich auf das Handeln haben. Er schreibt sinngemäß, dass auch die als Lüge erkannte Propaganda wirkt, wenn man sie nur unbeirrt fortsetzt.
(Hohloch [AfD]: So, wie ihr das macht!)
Weiter sagt er: Worthäufigkeiten, Wortwerte werden verändert, Sprache wird durchtränkt mit Gift; sie wird das stärkste öffentliche Werbemittel. – Und genau das ist der Plan der AfD.
(Beifall B90/GRÜNE und SPD sowie vereinzelt CDU und der Abgeordneten Johlige [Die Linke])
Ich schaue in die Vergangenheit, um Ihnen an ein paar Beispielen deutlich zu machen, wie das funktionieren kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was verbirgt sich Ihrer Meinung nach hinter dem Wort „Euthanasie“? Das meinte ursprünglich „guter Tod“, und dann änderte sich nach und nach, was dieser Begriff meint. Ende des 19. Jahrhunderts waren rassenhygienische und sozialdarwinistische Ideen auf dem Vormarsch.
(Frau Kotré [AfD]: Das ist doch wirklich widerwärtig!)
Sie bereiteten den Boden für das, was dann geschah: das massenhafte Morden von Menschen, deren Leben als unwert angesehen wurde. Das ist das, was viele von uns heute hier unter Euthanasie verstehen.
Woran denken Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei dem Wort „Endlösung“? Es ist ein im Grunde technischer Begriff, den es lange gab, in lauter unschuldigen Zusammenhängen – bis zur Wannseekonferenz. Da wurde dieser Begriff zum ungeheuerlichsten Euphemismus der Weltgeschichte. Es ging um die perfekte Planung des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden.
Und woran dachten Sie noch bis vor ein paar Wochen bei dem Wort „Remigration“? Hier kann ich wunderbar anschließen an das, was die Präsidentin schon sagte; denn dieses Wort beschreibt nichts anderes als die freiwillige Rückkehr oder auch vorübergehende Reise eines Migranten, einer Migrantin in seine oder ihre Ursprungsheimat. Es meint immer eine einzelne Person, es meint nie Gruppen. Wenn nun also die AfD eine „Remigrationsoffensive“ fordert, ist das die inhaltliche Umdeutung eines Begriffes, um das eigentlich zutreffende Wort „Massendeportation“ nicht benutzen zu müssen.
(Beifall B90/GRÜNE und SPD sowie vereinzelt Die Linke)
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frau Abg. Ricarda Budke (B90/GRÜNE):
Nein, danke. – Denn Sie wissen: Wenn Sie eine wahrhaftige Sprache verwenden würden, würden sich viele Anhängerinnen und Anhänger von Ihnen abkehren. Deutschland 2024 ist zum Glück nicht das Deutschland von vor 100 Jahren; es hat sich vieles geändert. Die Zivilgesellschaft meldet sich eindrucksvoll zu Wort. Die Menschen stellen sich Ihnen entgegen, und die Menschen lassen sich nicht von Ihrer Sprache täuschen.
(Beifall B90/GRÜNE und SPD sowie vereinzelt CDU und Die Linke)
Denn aus Sprache wird Denken, wird Handeln. – Herzlichen Dank.
(Beifall B90/GRÜNE, SPD und CDU sowie vereinzelt Die Linke und des Abgeordneten Stefke [BVB/FW Gruppe])