Bei dem Wort „Strukturwandel“ geht es um sehr viel mehr als nur stillgelegte Tagebaue und den Ausbau erneuerbarer Energien: Die Lausitz befindet sich seit Jahrzehnten in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Dieser umfasst alle gesellschaftlichen Bereiche von der Wirtschaft, den Siedlungs- und Sozialstrukturen über die Verwaltung und Politik bis zur Kultur und den Identitäten der Bewohner*innen.
Dennoch konzentriert sich die Debatte um die Zukunft der Lausitz noch immer vorwiegend auf industrienahe Themen und den Wegfall beziehungsweise Ersatz von Arbeitsplätzen in vorrangig männerdominierten Berufsfeldern wie Bergbau, Energiewirtschaft oder Maschinenbau. Frauen werden in diesen Gesprächen unsichtbar.
Auch wenn in den nicht mehr ganz so neuen Bundesländern Frauen in technischen Berufen erfreulicherweise deutlich breiter vertreten sind, als in Westdeutschland, arbeiten sie aber immer noch vermehrt in sozialen, gesundheitlichen oder geisteswissenschaftlichen Bereichen. Kita-Plätze sind in der Lausitz lange nicht so eine Mangelware wie in anderen Regionen Deutschlands und auch der Gender Pay Gap ist hier ziemlich gering, wobei man dazu beachten muss, dass der durchschnittliche Lohn auch niedriger ist als in anderen Regionen.
Klingt ja alles gar nicht so schlecht für die weibliche Hälfte der Bevölkerung? Und trotzdem bleiben Frauen auch weiterhin in vielen Lebensbereichen der Lausitz unterrepräsentiert. Die Kohleförderung hat längst nicht mehr so eine große Bedeutung für die Region hat, wie dies früher einmal der Fall war. Der Lausitzer Braunkohleindustrie, die noch etwa 8000 Menschen beschäftigt, stehen zum Beispiel etwa 20.000 Pflegekräfte und 15.000 Lehrer*innen gegenüber. Die große Mehrheit dieser Beschäftigten finden in der momentanen Debatte um den Strukturwandel jedoch kein Gehör, obgleich ihre Arbeit für eine gute Zukunft unverzichtbar ist. Gerade im Hinblick auf den immer noch stattfindenden demographischen Wandel und eine überalterte Gesellschaft in der Lausitz.
Dies führt zu einer geschlechterasymmetrischen Abwanderung, da vor allem junge, qualifizierte Frauen die Lausitz verlassen, um ihr Glück in anderen Teilen Deutschlands zu suchen.
Der Strukturwandel in der Lausitz muss jedoch für uns bedeuten, wirksame Maßnahmen dort zu ergreifen, wo sonst Geschlechterungleichheit praktiziert und zelebriert wird: Die Perspektive von Frauen ist wichtig, um bei den geplanten Veränderungen der Strukturpolitik berücksichtigt und mitgedacht zu werden. Durch die gleichgestellte Teilhabe von Frauen im Transformationsprozess können bestehende Missstände in sozialen und kulturellen Bereichen thematisiert und passende Lösungen gefunden werden.
Die Lausitz kann nicht durch ausschließlich wirtschaftliche und finanzielle Ressourcen zukunftsfähig attraktiv gestaltet werden. Dafür müssen auch andere Faktoren wie etwa geschlechtergerechte Infrastruktur und Stadtplanung, der Ausbau zahlreicher Kultur- und Freizeitangebote und vor allem gute Arbeitsbedingungen und entsprechende Entlohnung von Sorgearbeit berücksichtigt werden.
Wir setzen uns dafür ein, dass ehrenamtliche und soziale Arbeit gesamtgesellschaftlich aufgewertet wird; Modelle für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Eltern und alleinerziehende Mütter entworfen werden und nicht zuletzt für bessere Bezahlung und Qualifikation im Care-Bereich einzutreten – denn all das sind die Herausforderungen des Strukturwandels, denen wir begegnen müssen, um die Lausitz gemeinsam attraktiv und lebenswert zu gestalten.
Insbesondere im Pflegebereich kann und muss von uns Zukunftsarbeit geleistet werden, da immer mehr ältere Menschen betreut und versorgt werden müssen. Auch in der Lausitz wird der Pflegeberuf zum größten Teil von Frauen ausgeübt, doch ist das Gesundheitswesen für junge Menschen nur dann interessant, wenn er mit der Bezahlung, Arbeitsbedingungen und beruflichen Entwicklungschancen angemessen honoriert werden.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, welche Berufe für unsere Gesellschaft tatsächlich systemrelevant sind und wie wichtig zwischenmenschliche Beziehungen in unserer Gesellschaft und für jede*n Einzelne*n von uns sind. Lasst uns aus diesen Erfahrungen lernen und den Strukturwandel als Chance begreifen, dieses Wissen langfristig umzusetzen. Doch dafür brauchen wir eine gleichgestellte Repräsentation von Frauen in politischen Gremien wie Ausschüssen, Kreistagen oder auch als Bürgermeister*innen. Politikerinnen können der weiblichen Perspektive im gesellschaftlichen Diskurs und vor allem bei politischen Entscheidungen Gehör verschaffen. Dabei spielt auch die bessere Vernetzung von Frauen eine große Rolle. Der Strukturwandel kann nur dann nachhaltig für alle geschaffen werden, wenn die Stimmen aller Menschen gehört und in den Prozess eingebunden werden.
SAVE THE DATE: Frauen im Strukturwandel – Podiumsdiskussion
Welche besonderen weiblichen Perspektiven haben Frauen auf den Strukturwandel? Darum geht es in einer digitalen Podiumsdiskussion am 25. Mai ab 19 Uhr.